Die Idee von „Reiten mit Handicap“
10. Januar 2010Reiten mit Handicap will Mut machen. Reiten mit Handicap will zeigen, dass nach dem Stopp-Schild, das für uns aufgestellt wurde, uns das Umleitungsschild neue Wege weist, Wege, die wir sonst vielleicht freiwillig nie gegangen wären, die jedoch kostbar und bereichernd sind. Es besteht außerhalb der meist gekannten Normen eine Welt, die andere Maßstäbe kennt, als nur richtig oder falsch, als nützlich oder unnütz, als wertvoll oder unwert, als gesund oder krank.
Viele von uns wurden von einem Schicksalsschlag getroffen, wurden aus ihrer bisherigen Bahn geworfen, müssen sich neu orientieren, lernen sich so anzunehmen, wie sie sind. Müssen lernen, dass Wunden heilen und Narben bleiben, dass wir ganz sind, auch wenn uns ein Stück gegenüber früher fehlt, und dass wir mit unserer Unvollkommenheit und Verletzlichkeit uns vielleicht sogar leichter tun, anzuerkennen, was das Fundament unserer Gesellschaft ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1 unseres Grundgesetzes) und das solidarische Einstehen füreinander.
„Nicht Männer (oder Frauen) machen Geschichte, sondern Ideen“ (Heiner Geißler). Und die Idee von „Reiten mit Handicap“ hat meine (Lebens-)Geschichte verändert und soll jetzt weitergegeben werden.
ach einem Schicksalsschlag sind wir beschädigt, eingeschränkt in unserer Aktionsfähigkeit, fühlen uns ausgegrenzt von der Gesellschaft und sind auf Hilfe und Zuwendung angewiesen. Wir schämen uns unserer Defizite und Bedürfnisse ohne dass wir selbst etwas dafür oder dagegen könnten.
Unser Leben neu zu definieren, neu zu justieren, uns klar werden, welche Werte in Zukunft unser Leben bestimmen sollen und wie wir mit den gegebenen Möglichkeiten all das unternehmen können, was uns Freude macht und uns gut tut, müssen wir erst lernen bzw. herausfinden. Das einzige was wir als Voraussetzung dazu benötigen ist unsere Sehnsucht und unsere Neugier und die Geduld mit uns selbst. In den Schritten, die uns möglich sind können wir erfahren, was in uns steckt. Wir brauchen nur unser Herz und unser Denken öffnen, für das was uns blieb, was uns geboten und geschenkt wird und uns dann auf den Weg machen.
Pferde sehen uns so an, wie wir sind. Sie wenden sich uns zu, wenn wir geduldig mit ihnen umgehen, sie zeigen uns, dass auch mit einer gelähmten Hand streicheln angenehm ist. Sie tragen uns und bleiben stehen, wenn sie merken, dass wir unsicher werden. Sie versuchen uns ohne Worte zu verstehen, sind dankbar für jedes freundliche Wort. Sie stören sich nicht an Rollator, Krücken, Rollstuhl oder sonstige Hilfsmittel, wenn sie mit ihnen vertraut gemacht wurden. Sie lehren uns, uns selbst so zu nehmen wie wir eben sind.
Wenn wir auf einem Pferd sitzen, das geführt wird, wird unser Körper im Schritt so bewegt, wie wir beim Gehen unser Becken bewegen. Mit der Zeit lernt unser Körper dadurch die Bewegung neu wahrzunehmen und im Laufe der Zeit auch selbst aktiv Impulse zu geben. Es entsteht ein Dialog zwischen Reiter und Pferd. Wir erfahren, dass wir mit geduldigen kleinen Schritten mehr erreichen als mit großer Anstrengung. Wir erfahren, dass Leichtigkeit gut und besser werden immer möglich ist. Wir erfahren, dass es schön ist, getragen zu werden und dass wir dies freudig annehmen können.
Und wenn wir gelernt haben diese Erfahrungen zu machen, werden wir sie automatisch auch in anderen Situationen machen wollen und können, auf Menschen übertragen, mit denen wir arbeiten, auf andere Sportbereiche und vor allem auf unseren Körper, den wir in Teilen oft fast abgeschrieben haben.